Ein Wunderkind: Xavier Dolan

Soeben las ich, dass mit ” The Death and Life of John F. Donovan” in diesem Jahr ein neuer Streifen von Xavier Dolan (geb. am 20. März 1989 in Montreal) in die Kinos kommen soll. Für einen Dolan-Fan wie mich ist das eine lang ersehnte Nachricht, denn die Veröffentlichung seines letzten Films, “Einfach das Ende der Welt”, 2016 in Cannes liegt schon etwas länger zurück. Wie konnte ich nur diese letzten beiden Jahre ohne eine neue Produktion von Xavier überhaupt überstehen? Wahrscheinlich nur dadurch, indem ich mir all seine bisher gedrehten Filme immer und immer wieder in unserem Heimkino “reinzog”.

Für diejenigen unter euch, die von Xavier Dolan noch nichts gehört haben sollten, und für alle anderen, stelle ich heute eine Auswahl meiner Lieblingsstreifen von ihm zusammen. Jeder einzelne von ihnen erhielt zahlreiche internationale Preise und Nominierungen – keine Frage!

I Killed My Mother | 2009

In seinem Regiedebüt erzählt Xavier Dolan aus dem Leben des 16-jährigen Protagonisten Hubert, der seit Kurzem mit Antonin, seinem Klassenkameraden, zusammen ist. Hubters Zorn und Rebellion gegen seine Mutter nehmen stetig an Intensität zu, sodass er nur noch einen Ausweg sieht: so schnell wie möglich aus der Wohnung seiner Mutter ausziehen.

Mit diesem zugleich semiautobiografischen Film thematisiert Dolan auch seine eigenen Erfahrungen aus der Beziehung zu seiner Mutter.

Herzensbrecher | 2010

In Film Nummer 2 von Dolan dreht sich alles um eine Dreiecksbeziehung mit vier Ecken. Marie und Francis, die eine lange Freundschaft verbindet, lernen auf derselben Party den Cuty Nicolas kennen. Damit scheint das Drama bereits vorprogrammiert zu sein: aus Freundschaft wird Konkurrenz und Neid. Ob sich die Mühe um die Liebe von Nicolas tatsächlich lohnt? Ist er es Wert, dass Marie und Francis seinetwegen ihre Freundschaft aufs Spiel setzen?

Laurence Anyways | 2012

In diesem außergewöhnlichen Film steht eine anscheinend unmögliche Liebe zwischen einer Frau namens Fred (Frédérique) und einer transgender Frau namens Laurence (zu Handlungsbeginn als Mann lebend) im Mittelpunkt. Laurence offenbart ihren innigsten Wunsch, ihr wahres Selbst zu werden: eine Frau. Die Geschichte, die in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren spielt, umfasst ein Jahrzehnt, in dem die verhängnisvolle Liebe von Fred und Laurence sowie die Prüfungen und Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, aufgezeichnet werden.

The Death and Life of John F. Donovan | voraussichtlich Herbst 2018

Dolans aktuelles filmisches Kunststück sollte ursprünglich während der Filmfestspiele von Cannes im Mai 2018 veröffentlicht werden. Doch leider müssen wir uns bis zur Premiere des Filmes noch gedulden. Sie soll von Dolan selbst auf Herbst verschoben worden sein, damit er noch weiter an der Post-Produktion arbeiten kann.

Vorab findet ihr hier ein Interview mit ihm vom Set:

Andersherum oder wie ich einem Heterosexuellen die schwullesbische Welt erkläre

„Stell Dir mal vor, es gäbe ca. zehn Prozent Heterosexuelle und alle anderen wären überwiegend homosexuell. – Dein Tag würde ganz anders ablaufen:

Du stehst morgens auf, gehst zum Briefkasten und holst die Tageszeitung. Unterwegs triffst Du zwei schwule Nachbarn, die sich freuen, Dich zu sehen und Dir begeistert im Treppenhaus auf nüchternen Magen einen anzüglichen schwulen Witz erzählen. Du gehst wieder rein, frühstückst und liest dabei die Zeitung. Alle Artikel sind von schwulen Journalisten verfasst, einige darunter von lesbischen Journalistinnen. Es sind ein, zwei knapp in Bademode bekleidete Schwule abgebildet.

Du machst Dich auf den Weg zur Arbeit. Dort angekommen öffnest Du Dein E-Mail-Account. Zwei Deiner Kollegen haben wieder pikante E-Mails mit Spaßcharakter rumgeschickt, die Heteros als albern und lächerlich darstellen. Nicht zu vergessen die E-Mails, in denen stolze Witze darüber gemacht werden, mit wie viel Stehvermögen es der eine Schwule dem anderen von hinten besorgt hat: zwei geschlagene Stunden! Es wird erwartet, dass Du darüber lachst. Besser wäre es, denn eine der E-Mails kommt von Deinem Chef.

Schließlich gehst Du in die Kantine, Mittag essen. Du sitzt unter schwulen und lesbischen Kollegen. Eine ist immer etwas stiller. Du fragst Dich, ob sie vielleicht auch hetero sein könnte. Ein Kollege lebt offen hetero. Die meisten tolerieren das, aber ein, zwei Deppen machen ständig Witze auf seine Kosten. Er hat sich aber sogar getraut, seine Lebenspartnerin mit zur letzten Weihnachtsfeier zu bringen. Eine Ehe dürfen sie ja nicht schließen. Die Leute haben vielleicht geguckt! Während des Essens unterhalten wieder einige Schwule und Lesben die Tafel mit anzüglichen Homowitzen, die stellenweise witzig sind und stellenweise die Grenze des guten Geschmacks echt mal wieder unterschreiten. Du ärgerst Dich und erzählst einen Heterowitz, um zu provozieren. Die meisten gucken Dich entgeistert an, einige wenige schmunzeln. Manche sind tolerant und manche möchten den Eindruck erwecken, sie wären es.  Du gehst wieder ins Büro und arbeitest noch ein paar Stunden.

Danach fährst Du heim, erledigst ein bisschen Haushalt. Da klingelt es an der Tür. Deine Nachbarin kommt zum Plaudern und um Dir ein „super schönes“ neues Buch unaufgefordert auszuleihen. Sie will Dir was Gutes tun. Es ist ein lesbischer Liebesroman. „Das ist doch für Dich auch schön, oder? Du bist da ja offen.“ – Natürlich wärst Du dafür offen, wenn es nicht der fünfhundertneunundsiebzigste Deines Lebens oder so wäre. Du möchtest gerne abends zum Abspannen öfter mal so was richtig schönes Herzschmerzmäßiges mit Mann und Frau lesen, aber leider gibt es dafür nur einen kleinen Markt. Du hast schon alles Gute gelesen und es kommt einfach nicht so schnell Neues dazu, wie Du die Romane verschlingst. Das ist wohl einfach so, wenn man einer Minderheit angehört. Schade. Du setzt ein Lächeln auf, bedankst Dich artig bei der Nachbarin und verabschiedest Dich.

Du gehst ins Wohnzimmer und setzt Dich vor den Fernseher. Du hast 286 Kanäle und auf allen läuft Schwulen- und Lesben-TV. Alle paar Jahre macht ein Sender mal was Experimentelles und nimmt ein heterosexuelles Format ins Programm. Deshalb läuft manchmal spät abends eine hetero-Serie, aber erstens wird die in der Regel schnell wieder abgesetzt und zweitens beginnt sie nie vor 23.30 Uhr. Ins Kino könntest Du auch nicht. Da kommen zwei- bis dreimal im Jahr unter der Rubrik Besonderer Film Heterofilme, heute läuft aber keiner.

Jetzt kommt Dein Freund nach Hause. Ihr beschließt, spontan in die Stadt zu gehen. Da gibt es ein Hetero-Café. Auf dem Hinweg geht Ihr Hand in Hand. Jeder dritte Schwule, der Euch begegnet, schmachtet Deinen Freund an. Er hat für sie durch seine andere sexuelle Orientierung einen besonderen Reiz, was Exotisches. Letzte Woche hat ihm einer Geld geboten, wenn er ihn mal beim Sex mit Dir zusehen lassen würde. Du weißt noch genau, wie er Dir das laut lachend zuhause erzählt hat. Eine Querstraße noch und dann seid Ihr da. Im Café sitzen zwar überwiegend ganz junge Hüpfer und Ihr fühlt Euch dort ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber wenigstens seid Ihr unter  Gleichgesinnten. Es ist halt die einzige Hetero-Location in Eurer Stadt. Lang wollt Ihr ja eh nicht bleiben. Morgen müsst Ihr arbeiten und früh raus.“